Raus aus der emotionalen Gosse

Alle Jahre wieder holt das Schicksal kleine Jungs und Mädchen aus der „emotionalen Gosse“ und zeigt ihnen den Weg.

Gehen müssen sie selbst.

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Wenn’s um Stress geht, ist der Burnout wohl eine der letzten Haltestellen bei der man unsanft aus dem Bus des Lebens geschmissen wird mit dem Worten: „So geht das aber nicht mehr, weiter!“

Spätestens jetzt heißt es innehalten, hinsehen, neu orientieren, umkrempeln. Dieses Umkrempeln bedeutet aber nicht nur, dass man von nun an weniger arbeitet und mehr Urlaub macht. Burnout kommt nicht nur daher, dass unsere Arbeits- und Lebenswelt stressig ist. Es geht darum, sich Selbst, also den Menschen, der einst auf der Strecke geblieben ist, einzusammeln, vielleicht erstmal richtig kennen zu lernen und zu neuen Leben zu erwecken. Das ist leichter gesagt als getan.

Die Psychologin und Autorin Miriam Prieß veröffentlichte 2019 ein Buch in dem sie darauf hinweist, dass ein Burn-out Ausdruck einer gestörten Beziehung zu sich selbst. Sie beschreibt Burnout als

„gesunder Regulationsversuch von Menschen, die den Dialog zu sich selbst und ihrer Umwelt verloren haben und ein Leben leben, das ihrem eigenen Wesen widerspricht.“ (Prieß, 2019 15)

Ein Burnout ist also ein Schrei nach Authentizität! (vgl. ebd.) Er betrifft besonders Menschen, die den Bezug zu ihren echten Gefühlen, Bedürfnissen und Werten verloren hab. Vielleicht waren sie auch noch nie mit sich in einem konstruktiven Dialog, weil schon von klein an die Gefühle und Bedürfnisse anderer wichtiger waren und ihre eigenen nie gesehen wurden.

Ein anderes Bild, dass die Psychologin in einem Interview mit dem SWR prägte, ist das der „emotionalen Gosse.“ Eine starke Metapher wie ich finde. Das spannende ist, dass Menschen mit einem solchen Hintergrund, für bestimmte Unternehmen attraktiv sind, da sie dazu neigen sich widerstandsloser verheizen zu lassen als andere.

Die „emotionale Gosse“ regte mich lange zum nachdenken und zur Selbsterkundung an. Dies nahm ich zum Anlass das Titelbild dieses Beitrages zu malen. Ich habe mich gefragt, wie eine „emotionale Gosse“ aussehen mag. Hier meine Antwort:

  • Kontaktlosigkeit
  • nicht wirklich gesehen werden
  • innerer Leere
  • direkte oder indirekte Abwertungen
  • Isolation und Alleinsein
  • Unterwerfung, Dominanz, Gehorsam
  • Verleugnung, Betäubung von Gefühlen wie Trauer und Wut
  • Klima der Angst

Mehrere Jahre arbeitete ich an einer ostdeutschen Universität und tauchte dort in ein Umfeld ein, das ich lange nicht als destruktiv erkannte, da es sich sehr vertraut anfühlte. Status, Prestige und die Aussicht auf einen Doktortitel empfand ich eine Zeit lang als Ehre, die mich die Schattenseite nicht wahrhaben ließ. In der Realität war es so, dass ich fast alles was ich tat, alleine zu bewältigen hatte. Kollegen waren gestresst. Es wurde viel gelästert. Es entstand in mir der Eindruck nie genug getan zu haben. Gegenüber den nicht anwesenden bzw. nicht ansprechbaren Vorgesetzten, hatte ich immer wieder das Gefühl nicht wirklich gesehen zu werden, besonders dann wenn etwas nicht ok für mich war. Empathie und Verbundenheit suchte man vergebens.

Meistens schluckte ich meinen Frust dann aus Angst runter, so wie ich es schon als Kind gelernt hatte. Es verstärkte eine negative Spirale in mir, die mich fast in die völlige Erschöpfung zog. Es war eine Jagt nach Anerkennung in Kombination mit einem verletzten Selbstwert, Unterwerfung und schwachen Grenzen. Dies beobachtete ich nicht nur an mir, sondern auch an Kollegen und Vorgesetzten.

Burnout gedeiht also gut in einem rauen Klima der Ausbeutung und Vernachlässigung, welches von Überlebensstrategien statt von echter Verbundenheit dominiert wird.

Was ich schließlich bei mir selbst erkannte, war wie innere Wahrnehmungs- und Erlebensmuster eines Menschen zusammen mit Äußeren Strukturen eine Einheit ergeben können, die heilsam, oder eben im Falle des Burn-out, auch schädlich sein kann. Doch in all dieser komischen Tragik steckt auch ein Potenzial, nämlich aufzuwachen.

Aufzuwachen und plötzlich zu realisieren: „Ich weiß nicht was ich wirklich fühle und was ich brauche. Ich weiß nicht wer ich bin!“ – war für mich persönlich sehr wichtig. Wie ich im Titel versucht habe anzudeuten, kann dieses Aufwachen wie ein Schicksalsschlag sein. Es ist also etwas, was die bisherigen (Über)lebensmuster sehr stört und das sind manchmal eben auch Krankheiten und Lebenskrisen. Neben all dem Leid, das sie aufwirbeln bringen sie die Chance:

  • sich mal so wirklich kennenzulernen
  • Heilung zu erleben
  • die eigene Menschlichkeit neu zu entdecken
  • andere Menschen besser zu verstehen
  • lieben zu lernen
  • neue Klarheit und Orientierung zu gewinnen
  • endlich das eigene Leben zu leben

Der Weg raus aus der „emotionalen Gosse“, begann in meinem Fall mit ganz viel Demut und Mut. Sich einzugestehen, dass man vielleicht grade eine falsche Fährte verfolgt, ist in einer „Hochschul-Welt“ in der alle scheinbar keine Fehler machen und perfekt sein wollen, schwer. Plötzlich hieß es Selbstverantwortung übernehmen, für die eigenen destruktiven Muster und sich Hilfe suchen. Was mir half zu mir zu finden, waren neben den tollen Lehrern und Menschen, die mich begleiteten, die Methoden, die ich heute im Rahmen meiner Selbstständigkeit anbiete:

All diese Ansätze bieten meiner Erfahrung nach die Chance, eine heilsame innere Beziehung zu sich selbst aufzubauen und damit auch zu anderen Menschen. Es geht z.B. darum innere Ressourcen wie Mitgefühl und Klarheit zu stärken, Bedürfnisse zu erkunden, Gefühle zu spüren und dem Leben gegenüber wieder neugierig und auch weicher zu werden.

Eins noch: Gute Ansätze der Selbstheilung und Selbstentwicklung gibt es viel. Jedoch: Gehen müssen wir alle selbst, sonst würde es ja nicht der eigene Weg sein. Sich nun in seiner Hilflosigkeit und Abhängigkeit einer Gruppe, Methode oder einem Lehrer als einzige Lösung zu unterwerfen, kann auf Dauer das Selbst nicht stärken, sondern führt erneut in Rigidität und Selbstaufgabe. Es geht wirklich um DICH!

Falls du dich hier in diesem Artikel wieder findest, möchte ich dich ermuntern weiterzugehen. Es lohnt sich. Die Gefahr wieder in einem Burn-out zu landen habe ich persönlich überwunden. Heute kann ich sagen, dass ich ein Leben lebe, dass sich immer mehr wie MEINS anfühlt und das ist unbeschreiblich schön und stimmig und lebendig und steckt voller Vitalität und Wunder.

Lass uns gemeinsam immer weiter aus der „emotionalen Gosse“ schreiten in ein autonomes Leben, dass von Liebe und Gesundheit durchdrungen ist.

Anna

Quellen:

Prieß, Mirriam (2019): Burnout kommt nicht nur vom Stress. Warum wir wirklich ausbrennen – und wie wir zu uns selbst zurückfinden, Wilhelm Goldmann Verlag, München.

Prieß, Mirriam (2022) Wie sich die Burnout-Falle verhindern lässt, Interview im SWR, online unter: SWR1 Leute: Mirriam Prieß | Psychotherapeutin | Wie sich die Burnout-Falle verhindern lässt | ARD Mediathek (gesehen am 02.01.24)

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